Ein Podcast
Auf der Flucht
Ein Bericht mit Informationen eines Zeitzeugen
Mein Großvater wurde 1938 geboren und musste, als er sechs Jahre alt war mit seiner Familie aus dem Osten des heutigen Deutschlands fliehen. Er wurde in Berlin geboren und verbrachte dort seine ersten Lebensjahre. Doch dann wurden die Bombenangriffe auf die Hauptstadt zu gefährlich und seine Mutter zog mit den drei Söhnen nach Liepe. Sein Vater blieb aufgrund seiner Arbeitsstelle in Berlin. Im Januar 1945 mussten sie zusammen mit den Nachbarn (insgesamt ungefähr 10 bis 15 Personen) und ohne erwachsene Männer zurück nach Berlin fliehen, da die Russen immer näher kamen. Hier blieben sie dann ca. 2 Monate. Auf dieser ersten Fluchtetappe war mein Großvater todkrank, die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben, weil sie auch nicht die richtigen Medikamente zur Verfügung hatten. Somit holte seine Mutter ihn im tiefsten Winter mit einem Fahrrad aus dem Krankenhaus ab. Als die Familie dann auf der Flucht war, war die Mittelohrentzündung meines Großvaters so stark, dass sie ihm Schalen unter die Ohren gebunden hatten, damit der Eiter nicht in den Kragen läuft. In Berlin-Schöneberg also wieder angekommen, herrschte oftmals bis zu sechs Mal Nachtalarm in einer Nacht, wobei sich die Bewohner des Hauses in den Keller retten mussten. Nicht selten kam es dazu, dass hochschwangere Frauen hier vor Schreck ihre Kinder zur Welt brachten. Von den Bombenangriffen wurde mein Großvater zum Glück verschont.
Später flüchtete die Familie und andere Personen (ca. 10) mit Hilfe eines Holzgaswagens. Bis Flensburg brauchten sie um die 10 Nächte, da auch nur die Nacht für die Flucht geeignet war. Die Mutter packte warme Kissen und Decken sowie 6 Zentner Kartoffeln ein. Als die Flüchtlinge um den Frühjahrsanfang im März 1945 in Flensburg ankamen hatten sie das Glück bei Verwandten unterkommen zu können. Ihnen wurde die Dachkammer zur Verfügung gestellt, wo sie letztendlich zu zehnt lebten. Leider besaßen sie keine Lebensmittelkarten und kamen so nicht an Nahrung dran, doch die Verwandten teilten die Lebensmittel mit ihnen. In Liepe wurde mein Großvater zu ersten Mal eingeschult, in Flensburg nun schon zum zweiten Mal. Nach der Kapitulation am 8.Mai 1945 wurde er mit fast schon sieben Jahren zum dritten Mal in die erste Klasse eingeschult, erneut in Flensburg. Da er als ältester Sohn aber der „Mann“ im Haus war musste er seinem Onkel helfen ein Haus in Flensburg umzubauen, damit die Familie dorthin umziehen konnte. Aufgrund dessen konnte er auch nicht so oft zur Schule gehen. Die Stimmung verschlechterte sich im Hause der Verwandten, deshalb entschlossen sie sich am 23. Dezember 1945 sofort umzuziehen. Mit einem Bollerwagen mussten sie ca. 4 km lang ihre Dinge durch den rund einen Meter hohen Schnee ins neue Haus transportieren, welches noch keinen Fußboden besaß. Nach ein paar dieser Touren wollte sich mein Großvater nur kurz am Ofen ausruhen, muss dabei eingeschlafen sein und verbrannte sich die eine Gesichts-/Körperhälfte. Jetzt konnte auch er nicht mehr viel machen. 1946 wurde der kleinste Bruder meines Großvaters geboren, sodass in dem Haus nun die Eltern mit ihren vier Söhnen und die Schwägerin mit ihren zwei Kindern lebten.
Mein Großvater betrachtet sich als „Luxus-Flüchtling“, da er nicht zu Fuß flüchten musste und in Flensburg, am Ende der Flucht, sofort ein Dach über dem Kopf hatte.
Steckbrief über den Tagebucheintrag
Name der Verfasserin: Irmgard Tiedtke
Geburtstag: 17. Februar
Alter zur Zeit des Verfassens: 15 Jahre
Jahr des Verfassens: 1945
Zeitraum des Verfassens: 23.01.1945 bis ca. 08.05.1945
Fluchtzeitraum: 24.01.1945 bis ca. 03.03.1945
Weitere Personen:
· Großmutter
· Tante Lisbeth mit den Kindern Edith und Lothar
· Eltern
· Bruder Hans
· Cousin Bernhard
· Nachbarin Frau Schiemann
Weitere Informationen zu Personen und Details sind leider nicht bekannt.